Über die Gottähnlichkeit von Psychotherapeuten
Anlass meines Vortrags ist der 11. September 2001, der verdammt
nachdenklich gemacht hat, und diese Nachdenklichkeit hält an.
(Die Nachdenklichkeit wird durch meine Empörung ergänzt, dass sich morgen,
am 25.2. 2003, zum 200. mal der Reichsdeputationshauptschluss jährt, der
vorschreibt, dass wir alle (mit oder ohne Konfession) u.a. heute noch die
Bezüge der Bischöfe zu zahlen haben, und dass Bush im Namen Gottes einen Krieg
anzettelt, den wir auch alle bezahlen müssen.)
Was hat das miteinander zu tun?...
Urs Luedi fragte mich nach dem Terroranschlag nach den Konsequenzen. „Was
können wir tun?“
Meine spontane Antwort: Aufklärung! Dieses kurze Gespräch habe ich für mich
weitergeführt und mich mit meinen Werten beschäftigt, besonders mit Werten, die
konfligieren.
Es ist eine Gradwanderung geworden zwischen Toleranz, die einen hohen
Stellenwert für mich als Humanisten, Liberalen und Intellektuellen hat (ich
komme darauf zurück), und der moralischen Verpflichtung, für Menschlichkeit,
Autonomie, Nächstenliebe und Aufklärung (Vernunft, Intellektualität)
einzutreten. Toleranz und moralischer Auftrag, das kann sich beißen.
Ich habe nachgelesen:
Das Zeitalter der Aufklärung ist das 18. Jahrhundert.
Vertreter: Kant (Beginn des deutschen Idealismus), Hobbes, Lock, Hume,
Newton, Voltaire, Lessing.
Anfänge bereits in der Reformation und Renaissance.
Idee: „Vernunft ist das
Wesen des Menschen.“
Wesentlicher
Grundzug: "Tendenz zur wissenschaftlichen Einstellung und zu tatbereiter
Reformlust."
Überzeugung: „Alle Menschen
sind im Grunde gleich, vernünftig und gut.“
Bleibende Leistung der Aufklärung:
„Humanisierung des sozialen und kulturellen Lebens.“
Wirkung in die
Gegenwart: "liegt in der vernünftigen Planbarkeit und Rationalisierung, auch in
der Anerkennung der Menschenwürde und der Gleichheit aller Menschen."
Ergebnis: "Die
Aufklärung trug Elemente der Säkularisation tief ins Volk hinein", es
kommt zur Trennung von Kirche und Staat
(Laizismus).
Auf diese Trennung will ich hinaus. Hier liegt das Problem, von dem ich
ausging: der Islamismus trennt nicht zwischen Kirche und Staat, sie fordern den
Gottesstaat. Das Christentum hat
diese Trennung weitgehend geschafft (Dorn im Auge ist z.B. das Kreuz in
Amtsstuben, Konkordatslehrstühle in meiner Fakultät, staatlich eingezogenen
Kirchensteuer, Alimentierung der Bischöfe).
Der Islam mit seinen Fundamentalisten steht dazu im Gegensatz. Mohammed ist
etwa 570 Jahre jünger als Jesus, das Abendland ist etwa 400 Jahre weiter,
aufgeklärter, reifer. Nur Atatürk hat sich westlich orientiert und die
laizistische Türkei geschaffen. Ansonsten besteht die islamistische Welt auf
der Einheit von Kirche und Staat. Aber jede Verschmelzung von Kirche und Staat
birgt den Keim von Intoleranz in sich. Die Geschichte des Christentums belegt
das eindrücklich.
Den Auftrag zur Aufklärung haben heute die Intellektuellen. Ihre Aufgabe ist es,
mit Mitteln der Vernunft Menschlichkeit zu fordern (und zu praktizieren). Der
Intellektuelle unterscheidet sich vom Wissenschaftler dadurch, dass für ihn
wissenschaftliche Erkenntnisse nicht Selbstzweck sind, sondern bewertet werden
nach den Kriterien der Aufklärung: individuelle Freiheit, soziale Gerechtigkeit
und weltweite Menschlichkeit. Vorherrschendes Selbstverständnis ist die Skepsis
gegenüber herkömmlichen Autoritäten und die Suche nach rational begründeten
Einsichten.
Ich verstehe mich sowohl als Wissenschaftler als auch als Intellektueller:
Ich trage wissenschaftliche Erkenntnis als Professor und Psychotherapeut in die
Gesellschaft und bewerte das.
Dabei besteht ein Wertekonflikt zwischen der Toleranz
(individuelle Freiheit auch für die Ideen des Gegenübers, Wertfreiheit des
Wissens) und der Deklaration des für richtig Gehaltenen (Aufklärung,
Intellektualität).
In der Psychotherapie ist der Unterschied klar, er besteht zwischen Handeln
und Fühlen. Alle Gefühle sind gerechtfertigt und verstehbar, sie haben einen
guten Grund. Insofern sind sie nicht zu verantworten, sie geschehen
organismisch. Zu verantworten sind jedoch alle Handlungsweisen, auch wenn sie
aus verstehbaren, „richtigen“ Gefühlen stammen. So ist eine mörderische Wut
durchaus wertzuschätzen, nicht aber irgend eine Art der Gewaltanwendung. Alles
verstehen heißt noch nicht, alles verzeihen. Die individuelle Freiheit bezieht
sich auf Denken ("Die Gedanken sind frei!") und Fühlen; das Handeln
unterliegt jedoch dem Kriterium der sozialen Gerechtigkeit.
Der
Humanismus verfeinerte die Gedanken der Aufklärung zugunsten der
Menschlichkeit, die noch über Vernunft und Naturwissenschaft gesetzt wird. So
ist die Humanistische Psychologie die Überwindung der rein
naturwissenschaftlichen Psychologie zugunsten humanitärer Werte. (Humanitas:
„vollentfaltete edle Menschlichkeit, die sich in Teilnahme und
Hilfsbereitschaft für den Mitmenschen, in Verständnis und Duldsamkeit für seine
Lebensform äußert.“)
Damit
ist der Humanismus (neben der Phänomenologie und dem Existenzialismus) die
grundlegende philosophische Idee der Humanistischen Psychologie, deren
Vertreter ich bin.
Ich
bin Christ, weil ich mich der Geschichte des christlichen Abendlandes
verpflichtet fühle (und damit auch verantwortlich für die dunkle Seite unserer
Geschichte). Die jüdische und islamische Welt ist mir fremd. Ich betrachte das
Christentum ideengeschichtlich, nicht als Gläubiger. Ein Gottesglaube, obgleich
getauft, ist mir fern. Bisher habe ich mich dafür geschämt, es schien
unmoralisch, ungläubig zu sein. Heute stehe ich dazu. Es ist zu viel Unrecht im
Namen Gottes geschehen, und deswegen bekenne ich mich als Agnostiker und als
Atheist. Das ist meine Religion: religio, d.h. wörtlich Skepsis, Bedenken, Sorge.
Dieses Bekenntnis erfordert ein waches Auge auf Phänomene der Toleranz.
Bisher bewertete ich das Kriterium der Toleranz uneingeschränkt positiv.
Aber heute sind Grenzen der Toleranz erreicht. Ich empfinde darüber etwas
Beschämung, da hier auch Feigheit (eine Ohnemichel-Mentalität) ein Motiv sein
kann. Es ist schwach, wenn Werte verletzt werden, die ich hochhalte, ich aber
zu feige bin, diesen Werteverletzungen entgegen zu treten. So gilt das Wort
Goethes: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung
sein, sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen." Ich
beleidige, indem ich den anderen nicht für voll nehme, wenn ich ihm seine
Dummheiten, die Prinzipien der Menschlichkeit verletzen, durchgehen lasse.
Emil Gött formuliert schärfer: "Duldung ist nicht genug, sondern zu
wenig oder zu viel: Entweder haben wir zu unterdrücken oder zu pflegen. Dulden
ist eine Auskunft des Unentschiedenen, Feigen und Schwachen."
Ich
will nicht feige sein. Ich will als Intellektueller zur Idee der Aufklärung
beitragen. Mit Hinweis auf die Tat vom 11. September 2001, die im Namen Gottes
verübt wurde, trete ich für die Trennung von Kirche und Staat ein, die nicht
einmal in Deutschland vollendet ist, und wie wir sehen, in den USA rückläufig
zu sein scheint. Der Krieg gegen den Irak soll im Namen Gottes geführt werden,
wie der Terror am 11. September. Diese Entwicklung macht mir Angst.
Und sie empört mich!, so z.B. Bush’s Ausspruch: „Gott hat uns aufgerufen,
unser Land zu verteidigen und die Welt zum Frieden aufzurufen.“ Das ist ein
Aufruf zum Kreuzzug, als ob wir aus der Geschichte nichts gelernt hätten.
Die
Berufung auf eine höchste Instanz ist mir höchst verdächtig, zu viel Unrecht
ist darunter geschehen. Ich möchte darlegen, dass im Namen Gottes nichts
rechtfertigt, gegen Gebote der Menschlichkeit zu handeln. Im Gegenteil möchte
ich die Menschlichkeit über den Glauben an Gott stellen. Letzten Endes läuft es
darauf hinaus, dass ich Gott für entbehrlich halte. Ich fordere andere
Autoritäten, nämlich das Gebot zur schon genannten Humanitas. Das alles wünsche
ich mir, aber ohne meine Mitmenschen zu verletzen, die an Gott glauben, ihn als
Richtschnur für ihr Verhalten nehmen. Ich möchte meinen Unglauben verständlich
machen, meine Werte vertreten, bei allem Respekt vor Menschen, die meine
Ansicht nicht teilen.
Es müssen zwei Gottesvorstellungen unterschieden werden, den Persönlichen
Gott und den Universalen Gott. Der Universale Gott ist jene Energie, die das
Universum zusammenhält (erklärt?). Ihn anzubeten macht keinen Sinn. Ihn zu
vermengen mit dem Persönlichen Gott, verwirrt. Der Persönliche Gott ist jene
Bezugsperson, die anzubeten Sinn machen kann.
Was den Universalen Gott anbelangt, bin ich Agnostiker. Wir können nicht
wissen, ob es ihn gibt oder nicht. Unsere Erkenntnisfähigkeit reicht nicht aus,
wird nie ausreichen.
Im Folgenden geht es ausschließlich um den Persönlichen Gott.
Auch wenn ich persönlich nicht glaube und nicht bete, muss ich doch
feststellen, dass das Menschen tun und das es ihnen gut tut. Was also ist
dieser Glaube, woher nimmt er seine Kraft. Als Psychologe und Wissenschaftler
bin ich neugierig. Zuerst möchte ich ein paar Tatsachen beleuchten:
Es gibt eine Biographie Gottes, nämlich den Umstand, dass sich das Bild von
Gott über die Jahrtausende verändert hat. Es ist also ein evolutionärer Aspekt
zu berücksichtigen.
So ist es der individuelle Weg, den ich auf dem Hintergrund der
stammesgeschichtlichen Entwicklung skizzieren möchte:
Die Menschheit hat aus gutem Grund Bewusstsein entwickelt. Sein Sensorium
ist nicht nur in der Lage, die Umwelt und sich in ihr zu sehen, sondern auch
sehr differenziert diesen Erkenntnisapparat selbst. Diese Schleife des
Sich-selbst-Betrachtens führt zum Bewusstsein.
Aber wir zahlen dafür: Unser Bewusstsein ist ein nur annäherungsweise
gelungener versuch, uns in der
Welt zu verstehen – da bleibt ein erheblicher Rest. Häufig entzieht sich uns
der Sinn dessen, was wir erfahren, und
zwar grundsätzlich. Wir Menschen haben da ein Problem, und wir sind die
einzigen Geschöpfe, die dieses Problem haben. Yalom formuliert es in seiner Existentiellen Psychotherapie
so:
“Es
gibt unausweichliche Tatsachen des Lebens, mit den Grundlagen der Existenz
fertig zu werden. Besonders relevant sind vier existenzielle Tatsachen:
- die Unausweichlichkeit des Todes für jeden von uns und für die,
die wir lieben.
- die Freiheit, unser Leben nach unserem Willen zu gestalten
- unsere letztendliche Isolation und schließlich
- das Fehlen eines erkennbaren Lebenssinns.
„So grausam diese Grundtatsachen auch sein
mögen, sie bergen den Keim von Weisheit und Erfüllung“ – nämlich deswegen, weil
wir uns den Sinn des Lebens selber geben müssen.
Bewusstsein ist mit dem Bemühen verknüpft, verstehen zu wollen. Das unverstandene und das Unverständliche
wird mental begriffen, durch Theorien, Konstrukte und Hypothesen, die zur
Vorhersage der Zukunft dienen sollen (und damit einen evolutionären Vorteil
bringen).
So erfinden wir unsere Realität. Der Konstruktivismus, das heutige
Verständnis von Wirklichkeit, geht davon aus, das wir nicht wissen können, wie
die Welt wirklich ist, dass wir aber Theorien, Hypothesen, Modelle haben, eben
Konstrukte, die uns helfen, in dieser Welt klar zu kommen. Das ist besonders
nötig bei der Konstruktion von Sinn, um uns diesem existenziellen Dilemma
stellen zu können. Es liegt nahe, hier nicht nur den Grund für Glauben, sondern
ebenso für den Aberglauben zu vermuten.
Erleichtert werden die
Konstrukte über Metaphysisches durch konkrete, aber unverständliche Erfahrungen, die Menschen machen:
Nahtod-Erfahrungen und sog. Erleuchtungen. Diese Phänomene sind nicht zu
leugnen, aber durchaus physiologisch zu erklären. Als Gottesbeweis taugen sie
nicht!
Die Menschheit hat
evolutionär Bewusstsein entwickelt, zunächst jedoch nur als prinzipielle
Fähigkeit, am Beginn des individuellen Lebens Bewusstsein entwickeln zu können.
Wie aber geschieht diese Entwicklung, wie wird Bewusstsein von Generation zu
Generation weitergegeben?
Der Weg zum Bewusstseins geht notwendig über das Gespräch mit einer
Bindungsperson. Dieses Gespräch unterscheidet das Tier vom Menschen. Menschen
ohne dieses Erste Gespräch, gewöhnlich mit der Mutter, sterben.
Jedes weitere Gespräch fußt auf dem Ersten Gespräch, der begegnung mit der Bindungsperson. Die
Bezogenheit auf die Bindungsperson ist prägend für alle Beziehungen, für alle
je folgenden Gespräche, auch mit sich selbst.
Die Bindungsperson bleibt der Erste Gesprächspartner, auch wenn er gestorben
ist.
Der Gestorbene bleibt damit lebendig, präsent.
Der lebendige Tote, der mit anderen (Geschwistern) gemeinsam erlebt wird,
behält Autorität (perpetuiert Werte).
Der Tote reiht sich ein in die Gemeinschaft aller Toten.
Die Gemeinschaft aller älteren Toten ist das Fundament der Ahnenreihe.
Die Ahnen haben etwa zu sagen, sie sorgen für die Moral der Sippe, so wie
schon die Bindungsperson Werte vermittelt hat.
Die Kommunikation mit den Ahnen wird institutionalisiert (Schamanen,
Priester, Kirche).
Je höher die Zivilisation steht, desto differenzierter ist der Ahnenkult.
Je elaborierter das Ahnensystems ist, desto eher erhalten sie phänomenal
Unsterblichkeit.
Die Unsterblichen erhalten den Rang von Göttern.
Die Götter und ihre Priester sorgen sich um die Moral der Sippe.
Das Göttersystem abstrahiert schließlich zu Gott.
Gott ist damit die Abstraktion der Werte der Sippe.
Diese Entwicklung des Monotheismus hat sich über die Jahrtausende erstreckt
und belegt: Gott ist menschengeboren. Maria ist dafür eine Metapher. Gott als
Abstraktion des Menschen und seiner Werte ist menschenähnlich. Die Annahme der
Gottähnlichkeit des Menschen verwechselt Ursache und Wirkung.
Diese Menschenähnlichkeit Gottes zeigt sich in den verschiedenen Kulturen.
Die Religionsgeschichte belegt die Kulturabhängigkeit der jeweiligen
Gottesvorstellung.
Auch hier wird sichtbar, dass Gott des Menschen Werk ist.
Das Gespräch mit dem toten Vater, den Ahnen, den Göttern, Gott, bleibt
bestehen: es wird zum Gebet. (Die männliche Form ist nebensächlich. Tatsächlich
waren die ersten Götter weiblich, z.B. Gaia).
Das Gebet ist die Kommunikation mit den Gesetzen der Menschheit: Du sollst
nicht töten, du sollst deinen nächsten
lieben wie dich selbst etc.
Das Gebet ist wie das Erste Gespräch, die Kommunikation mit der Bezugsperson, und bildet damit
Bewusstsein.
Das Gebet setzt Erfahrungen mit Bindungspersonen voraus.
Missglückte das Erste Gespräch, entgleist auch das Beten.
Beten
ist Selbstexploration, besonders die Wahrnehmung der wirklichen Bedürfnisse. Es
macht bescheiden und führt zu Dankbarkeit – auch wenn es nicht erhört wird.
Zwei fundamentale Bitten lassen sich unterscheiden, eine dritte ergibt sich
daraus:
Bitten
um Kraft, das Schicksal zu wenden: Assimilation
Bitten
um Kraft, das Selbstkonzept zu ändern: Adaptation
Bitten
um Weisheit, am rechten Ort zur rechten Zeit richtig zu wählen.
Weisheit ist
das erfahrungsbasierte Wissen zur Erlangung von Glück. Ich komme auf Yalom
zurück: "So grausam diese Grundtatsachen des Lebens auch sein mögen, sie
bergen den Keim von Weisheit und Erfüllung", d..h. von Glück.
Fazit:
Der
Mensch braucht zwingend den Partner. In seiner existenziellen Not erfindet er
seinen Gott.
Das missglückte Erste Gespräch kann in der Psychotherapie nachgeholt
werden.
Der Psychotherapeut ist Ersatz für die Bindungsperson, für den Vater. Es
passiert, dass er angebetet wird wie ein Gott (bis zum Titel eines Buches einer
Patientin, die allerdings den Rahmen des Möglichen sprengt: „Als hätte ich mit
einem Gott geschlafen“).
Das Gespräch mit dem Psychotherapeuten, das ist die Selbstexploration des
Klienten, ist das Einüben der Kommunikation mit sich selbst.
Die Rolle des Psychotherapeuten ist nondirektiv, um das Gespräch mit sich
selbst nicht zu verfremden, zu behindern.
Das Gespräch mit sich selbst ist die Kommunikation mit der Bindungsperson,
mit Gott, ist damit Gebet.
Das gebet ist ein
Selbstgespräch, ist nondirektiv, hat die Funktion der Selbstexploration, ist
bewusstseinsbildend, wachstumsfördernd, heilend.
Psychotherapie ist die Einübung eines positiven, konstruktiven
Selbstgesprächs, damit vielleicht auch die Ermöglichung eines fruchtbaren
Gebets.
Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Ersten Gespräch, der
Psychotherapie, dem Selbstgespräch und dem gebet.
Fazit:
Wir
brauchen zur Orientierung nicht zwingend Gott, aber notwendig den Menschen. Das
drückt sich aus im menschlichsten aller Sätze über das Menschsein:
Liebe Deinen Nächsten wie
dich selbst.
Zunächst
widerspricht die Bibel diesem Imperativ, sie ist zu pädagogisch, nicht
humanistisch. Es gibt in den Zehn Geboten an vorderster Stelle den rächenden
Gott: "Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die
Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern
derer, die mich hassen ...!" (2. Mose 20). Das Alte Testament arbeitet
vorwiegend mit Angst.
Ein
Gegengewicht liefert das Christentum mit seiner Nächstenliebe. Fairerweise ist
allerdings anzumerken, dass dieses Gebot auch so schon im Judentum und später
im Islam gilt. Es gilt in allen Buchreligionen, muss also aus Ägypten kommen,
gilt aber darüber hinaus für alle Religionen. Es gilt nicht nur für Menschen,
sondern prinzipiell, mindestens für alle Wirbeltiere: Es gibt keine Entwicklung
ohne Bindungsgefühle.
„Der Mensch ist gut“.
Davon bin ich zutiefst überzeugt, als aufgeklärter Humanist, als Liberaler und
auch als Christ.
Belege dagegen wie dafür
sind vorhanden. Belege dagegen lassen sich entkräften. „Böse“ Menschen sind
krank. Das lässt sich in jedem Einzelfallbelegen. Menschen sind gut. Das lässt
sich evolutionär begründen. Sie sind sozial, sonst gäbe es die Menschheit nicht.
Beleg für die soziale
Grundhaltung sind z.B. Rotarier. Albert Schweitzer formuliert: „Viel Kälte ist unter den
Menschen, weil wir nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.“ Wenn
Menschen nicht gut sind, so gibt es Gründe, Ängste. Von Natur aus sind sie auf
einander angewiesen, lieben den anderen wie sich selbst, als Teil eines Ganzen
das Ganze.
Hier
zeichnet sich die Alternative zu Gott ab: Liebe. Sie ist älter als Gott,
evolutionär bedingt, für den Menschen existenziell. Ohne das Bedürfnis nach
Nähe und die dazugehörigen Gefühle der Bindung ist die Menschwerdung nicht
denkbar.
Liebe lässt sich differenzieren. Es gibt (neben Eros und Sexus) bedürftige Liebe, Selbstliebe, selbstlose Liebe, Gattenliebe (einschließlich Eros und Sexus) und Agape (die göttliche Liebe, Nächstenliebe, eine Art Zuneigung, die eine gewisse Stärke und Intensität besitzt, aber nicht fordert).
Wir nennen alles Liebe, weil sie
zusammengehören, einander bedingen. Zunächst liebt das Kind bedürftig, um sich selbst lieben zu können. Das ist die
Grundlage, um selbstlos zu liebe, so wie Eltern ihre Kinder lieben. Dazu
befähigt sie die Gattenliebe, in der sie geben und nehmen. Die Gattenliebe ist
Teil der Agape, zu der sie führt, wie Joachim Ringelnatz so schön
formuliert:
Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht
trauern
Meine Liebe wird mich überdauern
Und in fremden Kleidern dir begegnen
Und Dich segnen.
Das
ist die entscheidende Alternativ: Agape als göttliche Liebe. Den Zusammenhang
zwischen Gott und Liebe bringt Goethe auf den Punkt. Er lässt Faust zu Gretchen
über Gott sprechen:
„nenn´
es dann, wie du willst,
nenn´s
Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich
habe keinen Namen
dafür!
Gefühl ist alles;
Name
ist Schall und Rauch ... „
Glück!
Herz! Liebe! Gott! - in einem Wort: Es geht um das göttliche
Gefühl des Glücks in der Liebe zu sich und dem Nächsten.
Liebe,
das Bedürfnis zu lieben und das Bedürfnis, geliebt zu werden ist der Prototyp
unserer Bedürfnisse. Das liegt daran, dass seine Befriedigung besonders kostbar
ist. Die Einzigartigkeit beruht darauf, dass es das einzigen Bedürfnis ist,
dass wir nicht selbst befriedigen und kaufen können. Es sind Bedürfnisse nach
Nähe, wie sie in der Sehnsucht nach Liebe und Freundschaft zum Ausdruck kommen.
Belege
für den Zusammenhang zwischen Glück und Liebe:
Lew
N. Graf Tolstoi
„Zu
lieben ist Segen, geliebt zu werden Glück.“
Und
derselbe:
„Glück
entsteht nur durch Vermehrung der Liebe.“
Nestroy
„Verdoppeln
lässt sich das Glück nur, wenn man es teilt.“
Cicero
„Glück
findet der Mensch dadurch, dass er seine Fähigkeit entwickelt, Liebe zu
empfinden und zu geben. Indem er lernt zu lieben und dies mit Bewusstheit
verbindet, empfindet er sein Leben sinnvoll.“
Homer,
Odyssee, aus dem 6. Gesang:
„Denn
nichts ist besser und wünschenswerter auf Erden,
Als
wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Gütig
ihr Haus verwalten: den Feinden ein kränkender Anblick,
Aber
Wonne den Freunden; und mehr noch genießen sie selber!“
Ernst
Jünger: Auf den Marmorklippen 1938
„Ihr
alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des
Glückes ergreift. Wie unwiderruflich sind sie doch dahin, und unbarmherziger
sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen. Auch treten im
Nachglanz die Bilder lockender hervor; wir denken an sie wie an den Körper
einer toten Geliebten zurück, der tief in der Erde ruht und der uns nun gleich
einer Wüstenspiegelung in einer höheren und geistigeren Pracht erschauern
lässt. Und immer wieder tasten wir in unseren durstigen Träumen dem Vergangenen
in jeder Einzelheit, in jeder Falte nach. Dann will es uns erscheinen, als
hätten wir das Maß des Lebens und der Liebe nicht bis zum Rande gefüllt gehabt,
doch keine Reue bringt das Versäumte zurück. O möchte dieses Gefühl uns doch
für jeden Augenblick des Glückes eine Lehre sein!
Und
süßer noch wird die Erinnerung an unsere Mond- und Sonnenjahre, wenn jäher
Schrecken sie beendete. Dann erst begreifen wir, wie sehr es schon ein
Glücksfall für uns Menschen ist, wenn wir in unseren kleinen Gemeinschaften
dahinleben, unter friedlichem Dach, bei guten Gesprächen und mit liebevollem
Gruß am Morgen und zur Nacht. Ach, stets zu spät erkennen wir, dass damit schon
das Füllhorn reich für uns geöffnet war.“
Glück
ist das generelle Gefühl bei der Erfüllung von Bedürfnissen. Was für die Liebe
gilt, gilt im Prinzip für alle Bedürfnisse und alle Befriedigungen von ihnen.
Glück ist Erfüllung unserer Bedürfnisse, und Glück ist damit herstellbar. Die
Suche nach Glück weist uns den Weg, das Richtige, Nötige, Organismische zu tun.
Folgen wir dem Ruf des Glücks, dem Weg der Bedürfnisbefriedigung, sind wir auf
dem richtigen, nämlich menschlichen Weg.
Das
erschreckt zunächst, hört sich grenzenlos egoistisch an. Das relativiert sich
jedoch sofort, wenn wir bedenken, das Nächstenliebe nicht nur eine Pflicht ist,
sondern innerstes Bedürfnis. Wirkliches Glück erfahren wir nur, wenn das
Bedürfnis, den Nächsten zu lieben, unverletzt bleibt. Es geht um ein
Gleichgewicht zwischen allen Bedürfnisbefriedigungen. Dieses Gleichgewicht ist
immer wieder herstellbar, wenn es verletzt wird. So ist auch verständlich, dass
das Glücksempfinden relativ unabhängig ist vom eigenen Schicksal: Der
Durchschnitt des empfundenen Glücks ist weitgehend gleich. Nach einem Jahr gibt
es keinen Unterschied mehr zwischen der Zufriedenheit eines Lottogewinners und eines
Querschnittgelähmten.
Fazit:
Des
Menschen Streben zielt auf Glück (das wird immerhin in der amerikanischen
Verfassung institutionalisiert), macht sein Menschsein aus, und gipfelt in der
Erfüllung seines Bedürfnisses, den Nächsten zu lieben.
Damit
schließt sich der Kreis:
Wenn
wir uns auf uns selbst beziehen, benötigen wir keinen Krieg im Namen Gottes,
keine Kirchen und keinen Gott: Gott ist die Liebe zwischen den Menschen, wie die
Beziehung zwischen Klient und Psychotherapeuten.